Eine Reportage von: Christian Herse (NonstopNews-Redaktion), Leonhard Giesberts und Alexander Forstreuter

Samstagmorgen, 10 Uhr, auf der Feuer- und Rettungswache 1 in Krefeld. Hier, wo normalerweise vier Rettungswagen und drei Notarzteinsatzfahrzeuge stehen, herrscht gähnende Leere. Ein Bild, was in den vergangenen Wochen immer mehr zum Regelfall wurde und längst keine Ausnahme mehr darstellt. „Die Einsatzzahlen sind stark gestiegen. Wir merken diesen kontinuierlichen Anstieg seit dem Frühjahr schon, aber seit dem Herbst ist es besonders drastisch“, erzählt Dr. Andre Wiegratz. Der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes sah sich in den vergangenen Wochen mehrfach vor die Herausforderung gestellt, wie die Notfallversorgung in Krefeld sichergestellt werden kann. Denn die Option, dass ein Patient die 112 wählt und keine Hilfe bekommt, ist keine. Und so sind zuletzt teils ehrenamtliche Kräfte der Hilfsorganisationen in die Bresche gesprungen und haben mit Rettungsmitteln ausgeholfen. Mittlerweile wurden die elf Rettungswagen in der Stadt um einen weiteren verstärkt.

Doch woher kommt dieser Anstieg? Tatsächlich sind es nicht die Bagatelleinsätze, die zunehmen, sondern auch die Hilfeleistungen für Schwerkranke und Schwerverletzte. Und auch wenn Corona nicht direkt den Rettungsdienst belastet, so sind die indirekten Folgen deutlich spürbar geworden. „Es ist nicht so, dass die Ressource für Corona-Patienten eingeschränkt ist, sondern für alle Notfallpatienten“, weiß Wiegratz zu berichten. Während in der ersten Welle viele ältere Menschen schnell auf die Intensivstationen kamen und dort häufig verstarben, sind es in der vierten Welle die Jüngeren, die wesentlich länger bleiben und somit die Betten blockieren. „Als Herzinfarkt oder Verkehrsunfallopfer habe ich nicht den Zugang zur Versorgung, die ich sonst habe. Und das ist ein Engpass, mit dem wir täglich leben müssen“, macht er deutlich.

Dabei sind die Grundvoraussetzungen in der 225.000 Einwohner-Stadt noch sehr gut. Es gibt vier Krankenhäuser, darunter einen Maximalversorger mit ECMO-Betten, also jene mit Herzlungenmaschinen. 23 Prozent aller Intensivbetten in Krefeld sind mit Corona-Patienten belegt – Tendenz steigend. Die Folge ist, dass zwei der vier Kliniken keine Kapazitäten mehr freihaben.

Für den Rettungsdienst bedeutet das vor allem noch mehr Stress. Denn sie müssen nun Zielkliniken in womöglich anderen Städten und Regionen suchen. Lange Fahrten sind die Folge. Zeit, in der die Rettungsmittel nicht in der Stadt zur Verfügung stehen. Hinzu kommen auch neue Probleme. Angehörige würden die erkrankten Patienten gerne begleiten, was sie aufgrund der strikten Besuchsverbote aber nicht dürfen. Im Krankenhaus müssen die Notfallsanitäter und Notärzte um Verständnis bitten, dass man eben jene Klinik aufgesucht hat, statt einer anderen, da alle mittlerweile am Maximum ihrer Leistungsmöglichkeiten fahren.

Vor allem in ländlichen Regionen kommt es zudem auch immer mehr zu Weiterverlegungen. „Es kann schon sein, dass man nicht immer in seinem nächsten Krankenhaus endgültig versorgt werden kann, sondern vielleicht nur erst versorgt wird und dann weiter verlegt werden muss“, beschreibt Wiegratz die Situation und führt weiter aus. „Das ist nichts anderes als bei den Verlegungen aus Süd- und Ostdeutschland, wo wir Patienten in NRW aufgenommen haben.“ Hier könnte dem Rettungsdienst bald der Kollaps drohen.

Und die Situation könnte sich an der Stadt am Rhein weiter verschärfen. Denn die Zahl der Neuinfektionen stagniert, zudem sorgt das jahrzeittypische Wetter dafür, dass viele Menschen Atemwegserkrankungen erleiden. Die als Puffer vorgesehenen Betten in dieser Jahreszeit sind allerdings schon mit Corona-Patienten belegt. Das merkt Dr. Andre Wiegratz auch im täglichen Leben, wenn er als Notarzt fährt.

So auch diesen Samstag, als er, sein Fahrer Dietmar Wolf und ein Rettungswagen zu einer akuten Atemnot bei einem 1,5 jährigen Kind gerufen werden. Mit Sonder- und Wegerechten bahnt sich das das Team mit ihrem Notarzteinsatzfahrzeug den Weg durch den Stadtverkehr. Es geht in Richtung Krefeld-West. Gut sechs Minuten Fahrt liegen vor uns. Die Anspannung im Auto ist deutlich zu spüren. Kindernotfälle sind immer etwas besonderes, betont Wiegratz. Vor Ort angekommen verliert der Notarzt keine Zeit, der Rettungswagen ist schon vor Ort, Wiegratz geht zu seinen Kollegen. Notfallsanitäter und Fahrer von Wiegratz, Dietmar Wolf, holt noch eine Tasche für Kindernotfälle aus dem Wagen. Dann geht auch er in das Haus der jungen Familie. Nach gut 15 Minuten kommen Rettungsdienstler samt der Mutter des kleinen Emil, die ihren Sohn auf dem Arm trägt, aus dem Haus und gehen in den Rettungswagen. „Wir haben ein Kleinkind vorgefunden, das aufgrund eines Infektes nun Atemprobleme hat. Es muss zur weiteren Versorgung in ein Krankenhaus gebracht werden.“ Während der kleine Emil im Rettungswagen für den Transport fertig gemacht wird, telefoniert Notfallsanitäter Dietmar Wolf mit der Kinderklinik und meldet den jungen Patienten an. Dann geht es auch schon los, mit Blaulicht und Martinhorn fahren Notarzt und Rettungswagen zum Krankenhaus. Dort wird das Kind nun weiter, stationär, versorgt. Zurück auf der Hauptfeuer und Rettungswache scheint ein wenig Ruhe eingekehrt zu sein. Die meisten Einsatzfahrzeuge, wie auch die auf den Außenwachen, stehen einsatzbereit in den Garagen. Am frühen Nachmittag, Wiegratz sitzt zu diesem Zeitpunkt in seinem Büro, alarmiert der Melder das Notarztteam erneut zu einem Einsatz. „Wir fahren jetzt auf Nachforderung eines Rettungswagen in ein Altenheim. Dort hat ein Patient eine Bewusstseinseintrübung.“ Ohne Blaulicht fahren die beiden in das gut ein Kilometer entfernte Altenheim. Die Rettungswagenbesatzung der Johanniter ist bereits beim Patienten. Eigentlich sollte der Patient, der erst kurz zuvor aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wieder eingewiesen werden. Doch der Zustand des Patienten sei so schlecht, dass die Rettungswagenbesatzung lieber den Notarzt hin zugerufen hat um eine Entscheidung zu treffen. Nach rund 30 Minuten kommen die vier Rettungsdienstler, ohne Patient, wieder aus dem Altenheim. Der Zustand sei zu schlecht um ihn nochmal in ein Krankenhaus einzuliefern, erklärt Notarzt Dr. Wiegratz. Der heutige Tag scheint sehr ruhig, Wiegratz betont aber, dass dieser Eindruck täusche. „Die Auslastung ist seit einigen Wochen sehr hoch, höher als in den Monaten zuvor. Die Kapazitäten sind begrenzt. Und nur weil ein Krankenhaus ein offene Intensivstation meldet, weiß man nicht wie viele freie Betten sich dahinter verbergen.“ Von diesem Einsatz zum nächsten ist es nur eine kurze Verschnaufpause. Während die Kollegen des Brandschutzes gerade parallel mit zwei Rettungswagen zu zwei Einsätzen ausrücken, rückt das Notarztfahrzeug 1 zu einer schweren Atemnot aus. Schnell muss es gehen, eine akut Lungen-Vorerkrankte Dame klagt über massive Luftnot. Wieder kämpft sich Notfallsanitäter Wolf mit Blaulicht und Horn den Weg durch den abendlichen Verkehr. „Das ist genau einer der Einsätze, die jetzt Saisonal auftreten und dann auch ein Beatmungsbett brauchen. Das sind dann die Patienten, die mit den Corona-Patienten konkurrieren müssen.“ – erklärt André Wiegratz auf der Einsatzfahrt. Rettungswagen und Notarzt treffen dieses mal gleichzeitig ein. Die Besatzung des Rettungswagen kennt die Patientin bereits. Beide Teams betreten rasch die Wohnung im Hochparterre. Die Sauerstoff-Sättigung der Frau ist im Keller. Wiegratz versucht beim Ehemann mehr über die Krankheitsgeschichte und den Beschwerdeverlauf am heutigen Tag herauszufinden. Die Besatzung des Rettungswagens erhebt derweil alle Vital-Parameter – Blutdruck, Sättigung, Blutzucker und so weiter. Nachdem der Notarzt ihr einige Medikamente verabreicht hat wird die Dame, welche auch ein Heimbeatmungsgerät hat, in einem Tuch auf die Trage im Hauseingang getragen. „Wir haben die Sättigung jetzt stabilisiert und fahren jetzt mit ihr ins Krankenhaus“ – erklärt Dietmar Wolf. Die Retter verlieren keine Zeit und fahren wieder mit Sonderrechten in den Krefelder Maximalversroger. Hier ist zum Glück noch ein Beatmungsbett frei. Keine Selbstverständlichkeit in diesen Zeiten.

Von Leonhard Giesberts - CvD

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